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Liechtenstein Highlights - Brexit, EFTA und EWR

Die Universität Liechtenstein hatte zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe „Liechtenstein Highlights“ unter der Schirmherrschaft von Erbprinz Alois ein hochkarätiges Podium zu Gast. Zum Thema „Brexit, EFTA and EEA“ sprachen Carl Baudenbacher, Präsident des EFTA Gerichtshofs, Mads Andenæs, University of Oslo, Pamela Buxton, Hogan Lovells International LLP, London, und Heribert Hirte, Mitglied des Deutschen Bundestags, Universität Hamburg.

Rektor Jürgen Brücker betonte in seiner Begrüssung, dass Liechtenstein als Staat inmitten der D-A-CH-Region der richtige Ort sei, um über Europa nachzudenken. Auch wenn der sogenannte Glücksfaktor in Liechtenstein sehr hoch sei, gelte es angesichts der grossen Herausforderungen wie Flüchtlingsbewegung oder Jugendarbeitslosigkeit in weiten Teilen Europas, gemeinsame Wege mit den anderen europäischen Nationen zu finden. Aussenministerin Aurelia Frick zeigte in ihren Grussworten auf, wie der Brexit auch Liechtenstein beeinflusst und Europa zurückwirft. Der freie Zugang zum europäischen  Binnenmarkt sei für Liechtenstein ein Erfolgsmodell, doch sei er auch mit Anstrengungen verbunden, insbesondere was die Implementierung von EU-Recht in liechtensteinisches Recht angehe. Der Brexit bedeute auch einen EWR-Exit, stellte Frick fest und dies hätte auch budgetäre Auswirkungen für Liechtenstein, schliesslich sei Grossbritannien der siebtwichtigste Handelspartner Liechtensteins und sogar der wichtigste für das EFTA-Mitglied Norwegen.

 

Die Podiumsteilnehmenden stellten in Folge ihre Sicht auf den Brexit und seine Folgen in kurzen Referaten vor. Die ausschlaggebenden Gründe für die Annahme des Brexit waren gemäss Carl Baudenbacher der Wunsch der Briten, wieder die volle Kontrolle über die Immigration zu erlangen und der Zuständigkeit des EU-Gerichtshofs zu entkommen. Für die Zukunft streben die Briten ein weitgehendes Freihandelsabkommen mit der EU mit einem blossen Schiedsgericht an. Für Baudenbacher ist es aber fraglich, ob die verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten gewillt sind, dies zu akzeptieren. Den EFTA-Gerichtshof bezeichnete er als effizient und transparent, er entscheide faktenbasiert und es sei aufgrund der Grösse in jedem Verfahren ein eigener Richter dabei.

 

Pamela Buxton kommentierte die Erklärung der britischen Regierung, dass sie verpflichtet sei den Binnenmarkt zu verlassen. Damit einher geht jedoch der Wegfall der „passporting rights“, also der Berechtigung von UK-Finanzinstituten innerhalb der EWR-Staaten ohne weitere Zulassungserfordernisse tätig werden zu können - und umgekehrt. Sie geht davon aus, dass eine neue Plattform und ein neues Handelsabkommen nach dem Brexit geschaffen werden müssen. Buxton erklärte, dass seit der Brexit-Abstimmung in Grossbritannien die Pro-Brexit-Wähler die Zukunft Grossbritanniens ausserhalb der EU optimistisch sehen und selbst EU-Befürworter inzwischen die Referendumsentscheidung allgemein akzeptieren. Sie erwartet, dass es zu einem zweiten Referendum über den Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich kommen wird entsprechend der Abstimmung im schottischen Parlament am Veranstaltungsabend. Sie merkte an, dass die Position komplex ist, da Umfrageergebnisse andeuten, dass es keine Mehrheit für eine Abspaltung unter der schottischen Bevölkerung gibt.

 

Island und Norwegen haben beim Brexit am meisten zu verlieren, stellte Mads Andenæs fest, denn Grossbritannien werde sich auf die Verhandlungen mit der EU konzentrieren. Norwegen sei supervorsichtig, um während dieser Verhandlungen nicht zwischen die Räder zu geraten. Ausserdem gab Andenæs zu bedenken, dass alle bisherigen bilateral ausgehandelten Vereinbarungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nochmals auf der EWR/EFTA-Ebene verhandelt werden müssen, wenn Grossbritannien aus der EU ausgeschieden ist. Für eine Übergangszeit habe der EFTA-Gerichtshof die geeigneten Strukturen, stellte Andenæs fest, auch wenn Grossbritannien betone, keinesfalls weiter unter europäischer Jurisdiktion stehen zu wollen.

 

Heribert Hirte richtete seinen Blick auf das bevorstehende „Scheidungsverfahren“ zwischen der EU und Grossbritannien und sah zum Grossteil nahezu unvereinbare Positionen und wenig Willen zum Kompromiss. Grossen Diskussionsbedarf erkennt Hirte bezüglich der zukünftigen Wirksamkeit von Patenten und Marken in Grossbritannien und der Situation der Gesellschaften, die auf englischem Recht basieren, ihren Sitz aber in der EU haben – alleine in Deutschland sind davon 50‘000 Firmen betroffen. Erschwert werden die Verhandlungen dadurch, dass während des Trennungsverfahrens Briten auf beiden Seiten des Tisches sitzen. Hirte sagte auch, wenn Grossbritannien eine günstige Vereinbarung für die Zukunft abschliessen wolle, müsse es seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber der EU und Drittländern einhalten.

 

Im anschliessenden Podiumsgespräch betonten die Teilnehmenden nochmals die Herausforderungen, vor die der Brexit die EU stellt und die Sorgen der EFTA-Länder. Buxton verwies auf die Hoffnung der Brexit-Anhänger  auf Liberalisierung vom EU-Recht , aber auch darauf, dass es ein System der Äquivalenz brauche, um bei Finanzprodukten Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten. Angesprochen auf die Abneigung Norwegens gegenüber einem EFTA-Beitritt Grossbritanniens, erklärte Andenæs, dass Norwegen wirtschaftlich 10-mal grösser als das EFTA-Mitglied Island sei, aber 10-mal kleiner als Grossbritannien.  Daher sei davon auszugehen, dass in einem Konfliktfall zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, dieses kaum die Interessen seiner EFTA-Partner berücksichtigen würde. Gelöst werden könne dies nur, wenn das Vereinigte Königreich eine europäische Gerichtsbarkeit anerkenne – und auch von EU-Seite wäre ein solcher Streitfall mit einem EFTA-Mitglied Grossbritannien problematisch, da der EU-Gerichtshof einen „Supreme Court“ ablehne, der für EU wie EFTA zuständig wäre. Hirte stellte klar, dass ein traditionelles Schiedsgericht nicht ausreiche, um die Beziehungen zu Grossbritannien zukünftig zu regeln, und sah die grössten Schwierigkeiten darin, dass das Vereinigte Königreich keine Gerichtsbarkeit über der britischen anerkennen wolle.

 

Für Hirte wie für Baudenbacher ist es jedoch nicht ausgemacht, dass es zum Brexit kommen wird. Beide erkannten in der EU-Osterweiterung, der unkontrollierten Immigration innerhalb der EU, dem „brain drain“ von Süd nach Nord und dem Lohndruck im Norden Gründe für die zunehmende EU-Verdrossenheit. Alle Panelisten waren sich einig, dass das Dogma, dass die Personenfreizügigkeit Teil der europäischen DNA ist, in Frage gestellt werden muss. Nach einer lebhaften Diskussion schloss Präsident Baudenbacher die Veranstaltung mit der Feststellung, seine grösste Sorge für das übrige Europa sei, dass die EU aufgrund des fehlenden Einflusses des Common Law an Wettbewerbsfähigkeit verlieren wird.

 

Der Abend endete mit angeregten Diskussionen beim Apéro.