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Für Digital Natives ist das Montafon ein Ort guten Lebens

Die Alpen verändern sich und was tausend Jahre gültig war, geht verloren. Architekturstudenten der Universität Liechtenstein entwickelten neue Ideen für die alte Maisässkultur im Montafon.

von Kornelia Pfeiffer

Nur eine Hauptstrasse schlängelt sich durch das Montafon. Die Silvrettastrasse brachte auch zwölf angehende Architekten hin und wieder weg. Zurück im Studio DI Erich Strolz konzipierten und bauten sie aus Pappe, Gips und Holz, wie sie sich die Montafoner Maisässlandschaft der Zukunft vorstellen. Die Projekte, die fünf Wochen lang im ORF Landesfunkhaus in Dornbirn ausgestellt waren, sind in einer Broschüre dokumentiert. Unter dem Titel: «Leerstand Maisäss: Folgen für Landschaft, Gebäude und Kultur».

Ideen von Digital Natives

«Den jungen Leuten, allesamt Digital Natives, aus Deutschland, der Schweiz und Österreich ging es darum, eine andere Sicht auf den Sehnsuchtsort Alpen anzubieten», erklärt Erich Strolz, Architekt und Lehrbeauftragter an der Universität Liechtenstein. Die Studenten entwickelten neue Behausungen für «Maisäss-Nomaden», «Szenografien» für die Landschaft, «3 plus 1» für die Landwirtschaft, «NurNatur» für einen sanften Tourismus, «Temporäre Installationen» für die Kunst oder Konzepte für das Zurück zum «Kern». Ein Semester lang drehte sich alles darum, wie in einer sich verändernden Kulturlandschaft neuer Wert und neue Wertschöpfung entsteht.

Wissenshungrig und engagiert packten sie die Aufgabe an. Ziel war den Umbau eines Maisässgebäudes und einen Neubau für die Nutzung heute und in Zukunft zu entwerfen. Zudem galt es, die Drei-Stufen-Landwirtschaft als Ganzes zu sehen. So entdeckten die Zwölf die Maisässkultur im Montafon, wie sie seit dem Mittelalter das bäuerliche Leben prägte. «D's Maisäss go» hiess früher, dass ein Teil von Hof und Familie im Frühjahr mit dem Vieh vom Tal auf die mittlere Berglage zog und Wiesen und Weiden samt Wasserkanälen bewirtschaftete, bevor im Sommer das Vieh auf die Hochalpen getrieben wurde. Den Herbst wirtschaften die Bauern ebenso auf dem Maisäss, bis es im Winter wieder ins Tal ging.

Feriendomizil Maisäss
Die Maisässlandschaft und ihre Zukunft sind in Vorarlberg im Gespräch. Sie ist Spiegel der historischen, landwirtschaftlichen Nutzung aber auch der sich schnell verändernden Gesellschaft.

Die Maisässlandschaft und ihre Zukunft sind in Vorarlberg im Gespräch. Sie ist Spiegel der historischen, landwirtschaftlichen Nutzung aber auch der sich schnell verändernden Gesellschaft. «Noch als ich in die Volksschule ging, im hinteren Bregenzerwald, sind Mitschüler ab Mai mit ihren Eltern und dem Vieh auf die Vorsässe gezogen», erzählt Erich Strolz. Nur eine Generation später dienen die Maiensässe als reine Freizeitorte. Die Landschaft überrascht den Wanderer oder Mountainbiker mit Ensembles von Hütten und Ställen umgeben von Holzzäunen, einem Wald-Wiesenmosaik sowie Trockensteinmauern und Kapellen oder Bildstöcken entlang der Wege.

Wie eine Arbeitsgruppe 2013 in einem umfassenden Bericht unter dem Titel «Zukunft Maisäss Montafon» festhielt, gibt es auf etwa 1200 bis 1600 Metern Höhe noch 150 Maisässgebiete mit 817 Wohnhütten. Mehr als drei Viertel der Maisäss-Hütten im Montafon werden von Einheimischen und Touristen als Feriendomizil genutzt. «Dies bringt eine Reihe von Veränderungen und auch Problemen mit sich», macht Architekt Strolz deutlich: «wie etwa Autoschlangen, die sich im Winter an Wochenenden und in den Ferienzeiten zum gleichzeitigen Konsum von Freizeit auf den Skipisten ins Montafon drängen. Oder Höchststände bei Strom- und Wasserversorgung und auch bei der Entsorgung. Dasselbe gilt übrigens für die Vorsässe im Bregenzerwald und im Grossen Walsertal.

Wo Gemeinschaft zählt

Mittlerweile wachsen auf früheren Viehweiden Fichten, und auf steilen Hängen steigt die Gefahr durch Muren und Lawinen. Wie die Maisässhütten genutzt werden, ist gesetzlich nicht klar geregelt, sodass die meisten Veränderungen an den Wohngebäuden nicht rechtskonform sind. Aus bäuerlicher Kulturlandschaft wird Freizeitinfrastruktur. Seilbahnstationen und Zweckbauten ersetzen die traditionelle klare und einfache «Architektur ohne Architekten», wie Strolz die Kulturlandschaft nennt. Die Maisässgebiete verschwinden, wo noch vor fünfzig Jahren Heu gemäht wurde oder Kühe weideten, unter dichten Wäldern.

Und was sagt der Architekt aus dem Bregenzerwald zu Wildnis-Ideen, die auch anderswo Konjunktur haben, sprich, dass sich die Natur so entwickeln soll, wie sie sich entwickelt, ohne dass der Mensch eingreift? Grundsätzlich begrüsse er Alternativen, die der Natur zurückgeben, was Menschen ihr genommen haben. «Denken Sie an den Nationalpark Val Grande nahe des Lago Maggiore, dort passt die Entwicklung der Wildnis», vergleicht er. Für das dicht besiedelte Montafon könne er sich dies jedoch nur in Teilgebieten vorstellen.


Im Entwurfstudio DI Erich Strolz in Vaduz näherten sich die Architekturstudenten dem Thema Maisäss aus unterschiedlichen Perspektiven. Einige befassten sich mit dem Gemeingut und bringen so Ideen in die aktuelle Diskussion über Gemeingüter, Allmende, Commons ein. Im Montafon sicherte die gemeinsame landwirtschaftliche Arbeit über Jahrhunderte das Überleben der Menschen. Heute sichern Transportwege die Versorgung von Tourismus und Einheimischen. «Doch ist die Freizeitnutzung wirklich ein Verlust», fragt Erich Strolz, «oder könnte aus dieser Herausforderung auch eine neue Kultur entstehen, in der «Gemeinschaft» zählt?»

Vielfalt erhalten und entwickeln
Es gilt, die Pflege der Kulturlandschaft rund um die Maisässhütten zu sichern.

Für die einen ist entscheidend, dass der achtsame und verantwortungsvolle Umgang mit Landschaft, Tieren und Pflanzen alle angeht – und nicht nur Aufgabe der Bauern sein kann. Für andere stehen gesunde, regionale und faire Lebensmittel im Zentrum. Die Arbeitsgruppe «Zukunft Maisäss Montafon» plädiert dafür, die Vielfalt der rund 150 Maisässgebiete im Montafon zu erhalten und zeitgemäss zu entwickeln. Vor allem gelte es, die Pflege der Kulturlandschaft rund um die Maisässhütten zu sichern. Und Erich Strolz hofft, dass die Studie der Architekturstudenten der Universität Liechtenstein einen Denk- und Meinungsbildungsprozess in der Region mit anstösst.

* Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Mai 2015 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.