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Führt BEPS zu verstärkter Globalisierung?

Staaten beklagen mangelnde Steuereinnahmen, internationale Unternehmen wiederum versuchen weltweit ihre Steuerlast gering zu halten – teils zahlen sie gar keine Steuern. Ziel der Anti-BEPSInitiativen (Base Erosion and Profit Shifting/Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung) ist es, dies in Zukunft zu verhindern. Dazu sollen bislang legale steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten identifiziert und verhindert werden.

Prof. Dr. Martin Wenz im Interview mit Heike Esser

Martin Wenz: Nun, zunächst allgemein zum Thema. Einerseits sind es Extrembeispiele, nehmen wir Starbucks in UK, die sehr viel und sehr gewinnträchtig Kaffee in ihren bekannten Bechern verkaufen, also sehr viel Umsatz machen, aber wenig oder keine Steuern zahlen. Andererseits sind es auch Beispiele von Staaten, deren Steuersystem nicht wettbewerbsorientiert ist, d.h. die ihre überhöhte Staatsquote mit sehr hohen Steuern finanzieren wollen, was in einem globalen Umfeld für diese, aber auch für wettbewerbsorientierte Staaten immer schwieriger wird.

Die Ausgangsfrage – und das ist das eigentliche BEPS-Thema – ist, wo die Wertschöpfung global tätiger Unternehmen besteuert werden soll? Es ist das Credo von BEPS entsprechend OECD und EU, dass die jeweilige Wertschöpfung dort besteuert werden soll, wo sie entsteht. Das ist aber auch bereits das Ende der gemeinsamen kurzen Fahnenstange, denn: Was ist Wertschöpfung? Ist die Marke Hilti oder Daimler so wertvoll, weil so viel Ingenieurskunst in den Produkten steckt – das ist der europäische Ansatz – oder sind die entsprechenden Marken so wertvoll, weil der Markt, auf dem diese Produkte verkauft werden, so riesig ist – das ist der asiatisch-chinesische Ansatz. Beide Ansätze sind nicht miteinander vereinbar und insofern treffen unter einer gemeinsamen Überschrift eigentlich unvereinbare Konzepte in der gesamten Anti-BEPS-Initiative aufeinander.

Mit der Frage des Steuerwettbewerbs einerseits und mit der Wertschöpfungsdiskussion andererseits versucht BEPS irgendwie zu einer faireren Verteilung der Steuereinnahmen unter den Staaten in einer globalisierten Welt zu kommen.

Der zweite Punkt ist die Frage des Steuerwettbewerbs – ist er gut oder schlecht? Sehr vereinfacht gesagt, ist Steuerwettbewerb schlecht, wenn Staaten damit nur die Bereitstellung öffentlicher Güter finanzieren wollen, sie also effizient sind. Denn geringere Steuern führen dann zu einem niedrigeren Level an öffentlichen Gütern. Wenn Staaten aber Steuern einnehmen, um sehr viel mehr zu tun, als öffentliche Güter bereit zu stellen, sie etwa als Unternehmer oder Logistiker agieren oder überborden in sozialen oder vielen anderen Dingen, dann ist Steuerwettbewerb sehr heilsam.

Mit der Frage des Steuerwettbewerbs einerseits und mit der Wertschöpfungsdiskussion andererseits versucht BEPS irgendwie zu einer faireren Verteilung der Steuereinnahmen unter den Staaten in einer globalisierten Welt zu kommen. Das Problem ist nur, dass Steuergesetze einer der zentralen Bestandteile souveräner Nationalstaaten sind – dementsprechend ist es eine Grundvoraussetzung, dass diese weitgehend uneingeschränkt fähig, frei und in der Lage sind, ihre Steuergesetze individuell und in Bezug auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zu bestimmen.

 

BEPS geht es also nicht um kriminelle Machenschaften, sondern um legale Steuervermeidung?

M.W.: Es geht ausschliesslich um legale, vom Ergebnis her aber als unbefriedigend eingestufte Steueranwendung. Generell ist z. B. bei börsennotierten Unternehmen davon auszugehen, dass diese absolut gesetzestreu ihre Steuern entrichten und die Steuerrechtssysteme absolut befolgen. Ihre Abschlüsse, die sie nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen und von den weltweit führenden Prüfungsgesellschaften testieren lassen, werden zudem durch die äusserst strengen Börsenaufsichtsbehörden, insbesondere die USamerikanische SEC, überwacht.

Ob ein Steuersystem «vermeintliche Steuerschlupflöcher» beinhaltet oder nicht, ist Ausdruck der nationalen Souveränität, d.h. niemand anderes als der jeweilige Staat selbst hat vorsätzlich oder unbedacht «vermeintliche Steuerschlupflöcher» geschaffen. Ausserdem können Steuerschlupflöcher bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch das Zusammenwirken mehrerer nationaler Steuersysteme und/oder internationaler Steuerabkommen entstehen. Aber: Die Steuersysteme werden von den Staaten geschaffen. Wenn sie aus ihrer Perspektive zu unerwünschten Ergebnissen führen, ist das allen voran – und da braucht es gar keine Koordination à la BEPS – Sache dieser Nationalstaaten, solche unerwünschten Ergebnisse zu vermeiden.

 

Irland etwa hat kein Interesse an BEPS – die Staatengemeinschaft setzt Druck auf, um BEPS durchzusetzen. Wo bleibt da die staatliche Souveränität?

M.W.: Es gibt auch hier zwei Richtungen. Irland ist EU-Mitglied, Liechtenstein ist EWR-Mitglied. Folglich haben sich beide freiwillig durch diese Mitgliedschaften den Regeln zum Europäischen Binnenmarkt unterstellt. Diese betreffen insbesondere die Grundfreiheiten, im Wesentlichen Diskriminierungsverbote, und das Verbot staatlicher Beihilfen, d.h., dass unterschiedliche Unternehmen, Branchen etc., die vergleichbar sind, sprich gleich hohen Gewinn erwirtschaften, nicht unterschiedlich besteuert werden dürfen. Das ist ein freiwilliges Unterstellen dieser Staaten, um Zugang zum Europäischen Binnenmarkt zu haben. Irland muss in Bezug auf Apple «nur» seine Gesetze europarechtskonform ausgestalten und auch korrekt anwenden.

Rennen andere schneller als man selbst, kann man mehr trainieren oder dafür sorgen, dass andere auch nicht mehr so schnell rennen können. BEPS ist die letztere Methode.

BEPS ist anders gerichtet, das muss man sehr klar trennen. BEPS ist aufoktroyiert durch die G20 und die OECD, indem diese sich und allen anderen Staaten einen «global standard» verordnen, ohne hierfür eine besondere Legitimation zu besitzen. Wer am globalen Finanzsystem und letztlich am globalen Wirtschaftssystem – an der Globalisierung – teilhaben möchte, muss diesem globalen Standard entsprechen. Das hat etwas Dirigistisches, Entstaatlichendes an sich, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit einzelner reduziert werden soll. Rennen andere schneller als man selbst, kann man mehr trainieren oder dafür sorgen, dass andere auch nicht mehr so schnell rennen können. BEPS ist die letztere Methode.

 

Das von BEPS verlangte CbC-Reporting garantiert Vertraulichkeit. Ist das nicht unrealistisch?

M.W.: Nun, umso mehr Daten generiert und ausgetauscht werden, desto mehr möglicher Datenmissbrauch. Country-by-Country-Reporting ist eine weitere Spielart des automatischen Informationsaustauschs darüber, wie viel Umsatz und Gewinn ein Unternehmen in welchen Ländern macht und wie viele Steuern im Vergleich dazu dort jeweils gezahlt werden. Im UK-Starbucks-Fall ist damit sofort erkennbar: hoher Umsatz, hohe Gewinne, aber wenig oder keine Steuern in UK. Beim CbC-Reporting werden die Daten von der Steuerverwaltung am Sitz

des Unternehmens der Topgesellschaft an die Steuerverwaltungen der anderen Staaten, in denen die jeweiligen Tochtergesellschaften oder Niederlassungen angesiedelt sind, automatisch übermittelt. Eine Veröffentlichung der Daten erfolgt dagegen nicht. Ob damit Missbräuche verbunden sind, bleibt abzuwarten. In jedem Fall kann ein Land anhand dieser Daten aber durchaus erkennen «aha, da könnte eine aggressive Steuerplanung dahinterstecken, die wir uns mal näher ansehen».

 

Welche Auswirkungen hat BEPS für die Liechtensteiner Industrie und Steuerverwaltung?

M.W.: Es wird uns relativ einfach fallen, unser Steuergesetz BEPSkonform auszugestalten, weil das Steuersystem sehr modern ist und es vollumfänglich den genannten europäischen Anforderungen Rechnung trägt und wir uns dementsprechend auf einem sehr hohen 2.0-Niveau befinden. Keine Incentives, keine Sonderbehandlungen, alle Dinge sind immer durchgängig geregelt. Das Problem liegt eher im Ausland, in dem nämlich versucht wird, bis anhin als liechtensteinische Gewinne identifizierte Grössen als ausländische zu erachten und dort zu besteuern. Das heisst, dass der Gewinn im Ausland steigt und im Inland sinkt, sofern man Doppelbesteuerungen vermeiden will. Das erzeugt Druck auf die liechtensteinischen steuerpflichtigen Gewinne und damit auch auf das Steueraufkommen. Attraktivität zu gewährleisten und das Steueraufkommen abzusichern, wird klar schwieriger. Das ist die grosse Gefahr vor allem im Bereich der Residual-Gewinne, also derjenigen Gewinne, die bis anhin in der Zentrale angefallen sind und dort besteuert wurden. Diese könnten abschmelzen und damit auch das Steueraufkommen.

 

Man bräuchte also Unternehmensansiedlungen im Inland, um dieser Abschmelzung zu entgehen?
Vermeintlich globale Regeln führen zu verstärkter Renationalisierung und nicht etwa zu globalem Handeln.

M.W.: Zum Beispiel. Und das ist ein bisschen der schlechte Scherz an diesen BEPS-Themen, dass vermeintlich globale Regeln zu verstärkter Renationalisierung und nicht etwa zu globalem Handeln führen. Das ist grotesk. Es ist im Übrigen sehr schwer zu ermitteln, wer bei BEPS der Gewinner sein wird. Die Verlierer werden voraussichtlich die Unternehmen und damit am Ende alle Bürger sein, denn vermutlich wird es in der Zukunft wieder mehr Doppelbesteuerungen geben und jeder Staat wird unter dem Vorwand BEPS seine eigenen Antimissbrauchsmassnahmen für grenzüberschreitende Tätigkeiten erheblich verstärken. So soll das Unmögliche möglich werden: ein gleich grosser Steuerkuchen soll durch seine Neuverteilung bei allen Staaten zu vermeintlich mehr Steuereinnahmen führen. BEPS ist deshalb weder ein Beitrag zur Globalisierung noch zur Sicherung staatlicher Souveränität.

 

* Dieser Artikel erschien ursprünglich in der November 2016 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.