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Was ist Heimat?

Am zweiten Campusgespräch der aktuellen Reihe «Grenzen – Migration – Heimat» beleuchtete der Kulturwissenschaftler und Historiker Walter Leimgruber den Begriff «Heimat». Der grosse Publikumsandrang zeigte, dass das Thema aktueller kaum sein könnte.

Der Ordinarius und Leiter des Seminars für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Universität Basel näherte sich der Bedeutung von Heimat auf dem Umweg über ihren Gegenspieler, die Globalisierung. Anhand von Wachstumsgrafiken zeigte er auf, dass in den vergangenen zwanzig Jahren die aufstrebenden Volkswirtschaften wie etwa China Europa den Rang als Wachstumsmarkt abgelaufen haben. Zwar sei Europa in absoluten Zahlen noch immer eine der wohlhabendsten Regionen, doch hier hat sich die Einkommenssituation des Einzelnen seit Ende des 20. Jahrhunderts kaum verändert. Dies führe dazu, dass sich ein Gefühl des Nicht-mehr-Mitkommens ausbreite und viele die «gute alte Zeit» zurückwünschten. Neuem und neuen Mitmenschen würde mit einer zunehmend negativen Haltung begegnet, ein durch diese verursachter «Ausverkauf» oder Verlust der Heimat befürchtet.

Leimgruber nutzte Appenzeller Malerei, um aufzuzeigen, dass Heimat auch in früherer Zeit immer mit Besitz wie dem eigenen Hof verbunden war, der die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft garantierte. «Aus dem Bild gefallen sind die Geschwister des Hoferben, die sich als ziehende Handwerker, Knechte oder Mägde verdingen mussten und damit heimatlos wurden», führte er aus. Sie verloren das Gefühl der Geborgenheit und des Wohlfühlens in der vertrauten Umgebung und ihnen wurde in einer neuen Umgebung oftmals mit dem gleichen Misstrauen begegnet, das heutigen Migranten entgegenschlägt. Diese Besorgnis gegenüber Unbekanntem sei also kein Novum, sondern seit Langem bekannt. Er erinnerte an die grossen Ängste vor einer Überfremdung in der Schweiz der Fünfzigerjahre, als viele Italiener einreisten und man gesellschaftlich die gleichen Diskussionen führte wie heute wegen der aktuellen Migranten.

Heimat sei aber kein statischer Zustand, sondern in einem steten Wandel begriffen. Als Beispiele nannte er den schwindenden Einfluss der Kirche, die Abschaffung von körperlichen Strafen an Schulen oder den Umgang mit Homosexualität. Sitten und Bräuche änderten sich stetig, erklärte Leimgruber, und verwies beispielshalber auf die zunehmende Mediterranisierung des aktuellen Lifestyles mit der Verlagerung des Lebens in den öffentlichen Raum. Was also kann Heimat sein? Für den Kulturwissenschaftler muss Heimat immer als Utopie verstanden werden, als das Land, die Interessensgruppe, das grosse Ziel, das alle eint und keinesfalls als rückwärtsgewandte Idylle. Sein Vortrag endete mit einem Aufruf an Gesellschaft und Politik, das Feld nicht den Populisten zu überlassen, sondern gemeinsam neue Ideen und Zusammengehörigkeiten zu finden.

Der Abend schloss wie immer mit einer Podiumsdiskussion und Publikumsfragen sowie einem Apéro.