uni.liNeuigkeiten«Das Gehirn ist nicht blöde»
Campus Leben

«Das Gehirn ist nicht blöde»

Der Hirnforscher und Neurobiologe Prof. Gerald Hüther lud mit einem Vortrag an der Universität Liechtenstein am Mittwochabend das Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Auditorium ein, eine Kultur des Miteinanders zu wagen.

Hauptanliegen Hüthers ist die Entfaltung menschlicher Potenziale in Bildung und Erziehung, aber auch in Wirtschaft und Wissenschaft. Die Hirnforschung ging lange Zeit davon aus, dass die Struktur des menschlichen Gehirns durch die Genetik festgelegt sei. Neuere Forschung haben aber gezeigt,  dass die Genetik nur die Nervenstrukturen zur Verfügung stellt, der Kulturkreis aber bestimmt, was davon Verwendung findet. Ähnlich einem Bildhauer, der alles von einem Steinquader wegschlägt, was er nicht für die von ihm gewünschte Skulptur braucht, vernetzt das menschliche Gehirn nur die Bereiche, die nützlich erscheinen, denn: „Das Gehirn ist nicht blöde“, so Hüther. Es prüfe immer,  ob Neues von Bedeutung ist und versuche seinen Energieverbrauch so gering wie möglich zu halten. So sei ein jeder nur „die Kümmerversion dessen, was aus ihm hätte werden können.“

Begeisterung schafft Hirn

Doch das Hirn ist nicht unveränderlich, es kann bis zum letzten Atemzug  neue Netzwerke und Strukturen aufbauen. Dies sei aber nicht durch Training zu erreichen, wie bei einem Muskel, sondern nur durch Begeisterung. Durch Aktivierung der emotionalen Zentren im Mittelhirn würden Botenstoffe ausgeschüttet, die Nervenzellen anregen, neue Fortsätze zu bilden. „Begeistern aber kann man sich nicht allein, sie ist ein zwischenmenschliches Phänomen“, erklärte Hüther. Das Gehirn brauche ein lebendiges Gegenüber, um sich entwickeln zu können, dies hätten frühere Forschungsergebnisse ergeben. Um wie ein Kleinkind sehr viel und schnell lernen zu können, brauche das Gehirn Kohärenz, also das Gefühl, die Welt zu verstehen, sie gestalten zu können und sich selbst als Teil eines grösseren Prozesses zu sehen, der dem eigenen Leben Sinn gibt.

Was macht den Menschen aus?

Heute kämen diejenigen in Führungspositionen, denen es am besten gelänge, andere zu benutzen, also zu Objekten zu machen, doch dies führe zum Bewegungsstillstand im Gehirn, der weiteres Lernen verunmögliche. Eine Begegnungskultur wie in der frühen Kindheit, eine Kultur des Miteinander, des sich Einladens, Ermutigens und Inspirierens sei dagegen die Grundlage der Potenzialentfaltung, der Weiterentwicklung des Gehirns. Aus dem alten Prinzip der Konkurrenz sei seit der Jahrtausendwende eine Kooperationsgemeinschaft geworden, denn die Spitzenleistungen einzelner weniger genüge nicht mehr. Doch das Ziel müsse die Ko-Kreativität sein. In Zeiten, in denen mittels Algorithmen Computer immer mehr der bisherigen Hirnleistungen übernehmen, stelle sich die Frage: „Was zeichnet uns als Menschen aus?“. Die Anwort, so Hüther, laute: „Nur der Mensch kann etwas wollen und nur er kann dafür immer wieder neue, kreative Lösungen finden.“ Dies gelinge nur in einer Begegnungsgemeinschaft, deren Mitglieder sich als Subjekte und nicht als benutzbare Objekte wahrnehmen. Der Andere „dürfe einem nicht egal sein, sondern müsse einem am Herzen liegen – wenn die Dinge immer leichter statt komplizierter werden, dann ist man auf dem richtigen Weg“, schloss Hüther.