uni.liNeuigkeitenDer Nachbarschaft ein Gesicht geben

Der Nachbarschaft ein Gesicht geben

Architekturstudenten der Universität Liechtenstein wollen mit Wohnkomplex Nachbarschaftsbeziehungen in Lustenauer Wohnquartier intensivieren, soziale Nachbarschaft erlebbar machen und im Übergang vom Öffentlichen ins Private den Bedürfnissen der Anwohner nach Begegnung und Rückzug gerecht werden.

Architekturstudenten der Universität Liechtenstein wollen mit Wohnkomplex Nachbarschaftsbeziehungen in Lustenauer Wohnquartier intensivieren, soziale Nachbarschaft erlebbar machen und im Übergang vom Öffentlichen ins Private den Bedürfnissen der Anwohner nach Begegnung und Rückzug gerecht werden.

Eigentlich wollte Rosalie Schweninger in ihrem Semesterprojekt bei den Architektur-Dozenten Nicole Hatz Volpato und Marco Volpato einen mehrstöckigen Gebäudekomplex entwerfen. Mit dem Ziel, die sozialen Verbindungen der Bewohner untereinander zu stärken. Doch das war der 23-jährigen Architekturstudentin aus Lustenau zu wenig. Sie entschied sich kurzerhand für einen Wohnkomplex samt Nachbarschaftsküche und Masterplan. Ein kleines Mammutprojekt, das sich der entwicklungsschwachen Gegend rund um die Lustenauer Augartenstrasse annimmt. 

Ortsteil mit Entwicklungsbedarf 
Dort, wo das Einkommen niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch und die Bausubstanz schlecht ist, hat sich die Architekturstudentin ein 9000 m² grosses Grundstück zwischen Rheindamm und Augartenstrasse gesucht, auf dem derzeit zwei Wohnblöcke stehen. Aufgrund der minderwertigen Bausubstanz werden diese voraussichtlich innert der kommenden zwanzig Jahre abgerissen. Dann gäbe es genügend Platz für Schweningers Wohnprojekt mit 31 Wohnungen und einer zusätzlichen Nachbarschaftsküche. Die unterschiedlich grossen Wohneinheiten erinnern in Größe und Art der versetzten Stapelung an die in dieser Gegend so beliebten Einfamilienhäuser.


Rosalie Schweninger: Visualisierung Innenhof

Quartiersaufwertung
Die versetzten Kuben schaffen nach aussen hin eine asymmetrische Oberfläche mit unterschiedlich grossen Aussenbalkonen. Mit variablen Wandelementen kann die Wohnung individuell an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst werden. Die unterschiedliche Grösse und der abweichende Standard der Wohnungen fördern eine gute Durchmischung unterschiedlicher Bedürfnisgruppen und Generationen. Dadurch könnte das Augartenviertel neu belebt und das Image verbessert werden. Das Quartier erstreckt sich primär um die Augartenstrasse, die von Autofahrern vielfach als Umgehungsstrasse für viel befahrene Hauptstrasse genutzt wird. Ihre Geradlinigkeit verleitet zu Tempo 80 oder mehr. Damit wird die Strasse zu einer bedrohlichen Gefahr und toten Zone. Um Abhilfe zu schaffen, setzt die Studentin Rosalie Schweninger auf eine Shared Zone, eine Strasse, auf der Fussgänger und Radfahrer wieder Vorrang haben und Autos lediglich geduldet sein sollen. Der lineare Verlauf der Strasse könnte durch grüne Aufenthaltsbereiche mit Bäumen durchbrochen werden. Auch die Oberfläche der Strasse ändert maßgeblich den Eindruck der Straßenzone. Ein teils einspuriger Strassenverlauf wäre denkbar. «Ich habe versucht, in meinen Masterplan möglichst viele unkommerzielle Ideen einfliessen zu lassen. Entlang der Augartenstrasse sind so ein Sprachencafé, eine Bücherei und ein Kindergarten entstanden, mit teils öffentlichen, teils halböffentlichen Angeboten.»


Aussenansicht Öffentlicher Platz


Alternativ-Modell mit gewerblicher Nutzung
Architekturstudent David Dudler (26) hat sich bei seinem Wohnkomplex für ein 1,4 Hektar grosses Grundstück in Lustenau-Rotkreuz entschieden, auf dem bereits ein Supermarkt steht. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich ausserdem ein Kindergarten, eine Primarschule, eine Einfamilienhaussiedlung und eine Tiroler Siedlung mit Sozialwohnungen. Dudlers Gebäude orientiert sich mit seinen zwei bis vier Geschossen an der umliegenden Architektur. Als verbindendes Element dient ein grossflächiges Satteldach über den gesamten Komplex. Grosse Fenster richten sich zum Innenhof, der eher für die Bewohner bestimmt ist und damit den privateren Bereich definiert. Nach aussen zieren lediglich Schlitzfenster die Fassade. Damit will der Architekturstudent aus Buchs das Leben auf den Innenhof richten.


David Dudler: Visualisierung privater Innenhof

Dudlers Wohnungen bestehen aus vorfabrizierten Holzelementen mit flexibel verschiebbaren Leichtbau-Zwischenwänden. Auch er bringt – wie Rosalie Schweninger – verschiedene Wohntypologien in den Komplex mit ein. Im Erdgeschoss: eine transparente, offene Architektur mit grossen Glasfronten und Stützen für Gewerberäume und eine Tagesstätte für Kinder unter vier Jahren. Ausserdem ein öffentlicher Mehrzweckraum für Jugendliche. Ein Café bildet den Übergang vom öffentlichen Bereich mit Gewerbezone und Nachbarschaftstreff hin zum privateren Innenhof. 


Aussenansicht Nord- und Ostfassade

Ausgeklügeltes Wegesystem
«Ich habe viel Zeit und Ideen in den Übergang vom Öffentlichen ins Private gesteckt», sagt der Bachelor-Student. «Ich wollte einen Ort schaffen, der den verschiedenen Bedürfnissen der Menschen gerecht wird: Auf der einen Seite einen Ort der Begegnung und des öffentlichen Lebens und auf der anderen Seite einen Rückzugsraum für die Anwohner.» Mit seiner Mischung aus gewerblicher Nutzung und Wohnzone gelingt es ihm, das Leben im öffentlichen Raum zu aktivieren und einen Nachbarschaftstreff zu schaffen, der ganztägig genutzt werden kann. Dafür war es nötig, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, Zäune abzubauen und neue Wege zwischen Primarschule und Kindertagesstätte, Einfamilienhäusern und Gewerbezone, sozialem Treffpunkt und Siedlungsbewohnern anzulegen und so erst den Austausch zu ermöglichen.


Grundriss Wohn-Gewerbekomplex


Hintergrund
Das Forschungsprojekt «Soziale Nachbarschaften – Schlüsselfaktor einer Regionalentwicklung» untersucht den Zusammenhang zwischen gelebten Nachbarschaftsbeziehungen und gebauten Siedlungsrealitäten im Rheintal. Als Teil des Forschungsprojektes haben Studierende der Universität Liechtenstein gemeinsam mit den Wissenschaftlern der FHS St. Gallen zwei Semester lang über Zaungrenzen hinweg geschaut. Im Fokus der Betrachtungen standen Lebenswelten, Nachbarschaftsstrukturen und die Frage, wie gelebte Nachbarschaftsbeziehungen und bauliche Gegebenheiten das Zusammenleben der Einwohner beeinflussen. Gefördert wird das Projekt durch die Internationale Bodensee Hochschule (IBH).

Vorarbeit
Bereits im vergangenen Semester haben Studenten die Nachbarschaftsbeziehungen der beiden Rheintalgemeinden Lustenau und Widnau unter die Lupe genommen. Mit der Erkenntnis, dass so gut wie kein Informationsaustausch zwischen beiden Orten stattfindet. Um diesen Zustand zu beheben, sollten die angehenden Architekten ein multifunktionales Gemeindezentrum entwerfen, das von Bewohnern beider Gemeinden gleichermassen genutzt werden kann und einen neuen Treffpunkt darstellt. In diesem Sinne führte das Nachbarschaftsprojekt die vorangegangenen Analysen weiter und ergab für die Studierenden Einblicke in die Siedlungsstrukturen des Rheintals und die nachbarschaftlichen Beziehungen, die dort gelebt werden.