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Die Kunstfigur muss menschlich werden

Der Homo oeconomicus ist eines der wichtigsten Modelle der Wirtschaftswissenschaft. Wird menschliches Handeln aber anhand einer rein ökonomisch handelnden Figur beschrieben, führt man es ad absurdum. Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Wirtschaftswissenschaft.

 

Text: Katja Fenkart
Illustration: Alina Sonea

 

In einer Zeit, in der soziale Verantwortung gross geschrieben wird, droht dem Homo oeconomicus ein ständiger Gesichtsverlust. Logisch denken kann er besser als jeder andere. Der Einsatz für das Gemeinwohl bleibt dabei aber auf der Strecke. Dass man ihm im Alltag nicht begegnet, hat einen einfachen Grund: Er ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine Erfindung der Wirtschaftswissenschaft – der Idealtyp eines rein wirtschaftlich handelnden Menschen. Und der hat besonders seit der Finanzkrise im Jahr 2008 einen immer schlechter werdenden Ruf.


Nur der eigene Nutzen zählt

Das klassische Modell, mit dem in der Wirtschaftswissenschaft immer wieder versucht wird, menschliches Handeln und wirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären, beschreibt einen fiktiven, rational handelnden Durchschnittsmenschen. Dieser wirkt zuweilen recht unsympathisch. Er verfolgt nur ein Ziel: den grösstmöglichen Nutzen für sich selbst herauszuschlagen. Alle möglichen Handlungsoptionen sind ihm dabei genauso bekannt wie deren Konsequenzen. Der Nutzenmaximierer wägt genau ab, vergleicht Preis und Nutzen – unabhängig davon, ob er ein neues Auto oder eine Packung Kaugummi kaufen will. Während andere Menschen über Wankelmütigkeit klagen, ändern sich seine Präferenzen nicht. Solange die materiellen Anreize stimmen, ist der Homo oeconomicus zufrieden. Mit Emotionen, Vorlieben und Abneigungen schlägt er sich nicht herum. Immaterielle Werte und widersprüchliches Verhalten haben in seiner Welt keinen Platz.

Verhält sich der Mensch nur ökonomisch, rational und eigeninterressiert?


Die Variable Mensch

Dass man mit einem solchen Verhalten in der Realität nicht weit kommt, liegt auf der Hand. Das wirklichkeitsfremde Modell stösst daher auf heftige Kritik. Die Gegner stören sich vor allem daran, dass niemand ausschliesslich wirtschaftlich handeln, lückenlos informiert sein und eigennützig leben kann. Kritik kommt vor allem aus der Disziplin der Verhaltensökonomik. Sie hat es sich zur Mission gemacht, mithilfe von Experimenten zu beweisen, dass der Mensch sich eben nicht nur ökonomisch, rational und eigeninteressiert verhält. Er lässt sich täuschen und beeinflussen, ist nicht emotions- und präferenzlos und macht auch mal Fehler. Kurz gesagt: Er ist menschlich.


Gesellschaft braucht Verantwortung

Der Wirtschaftswissenschaft zu unterstellen, sie würde den Homo oeconomicus als Abbild eines realen Menschen ansehen, wäre falsch. Die Kunstfigur dient in erster Linie der Bearbeitung von Forschungsfragen. Sich eines Modells zu bedienen, das menschliches Handeln nur mit Blick auf den ökonomischen Nutzen beschreiben will, wird der komplexen Welt, in der wir leben, aber nicht gerecht. Nimmt man das Modell des Homo oeconomicus zu ernst, führt es menschliches Handeln ad absurdum. Der Einsatz für das Gemeinwohl kann genauso wenig mit reinem Zweckhandeln und Nutzenmaximierung erklärt werden wie ehrenamtliches Engagement. Würde sich tatsächlich jeder nur auf seinen eigenen Nutzen konzentrieren und keinerlei gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, würde unsere Welt schnell vor die Hunde gehen. Mit einem menschlicheren Modell könnte die Wirtschaftswissenschaft nicht nur die soziale Realität besser miteinbeziehen, sondern auch das Image des Homo oeconomicus aufpolieren.

 

*Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Juni 2017 Ausgabe des Denkraum Magazins.