Mit Architektur Identitäten konstruieren

Vera Kaps lotet das Verhältnis von Baukultur und Mensch aus

"Am meisten lernt man über die Welt und sich selbst, wenn man aus seiner Komfortzone hinausgeht", ist die Architektin und Stadtplanerin Vera Kaps überzeugt. Eine Erkenntnis, die bei der 30-Jährigen auf reichlich praktischer Erfahrung beruht. "Schon als Kind bin ich häufig umgezogen", erzählt Kaps. Zuerst nur innerhalb Deutschlands, mit 17 ging es dann nach Australien. Ein Leben voller Aufbrüche, das der jungen Frau durchaus gefiel.

"Mich interessieren fremde Kulturen und Identitäten", sagt sie. Das Studium und danach die Arbeit als Architektin gaben ihr dann auch genügend Anlässe, diese zu ergründen: unter anderem in Sydney, Stuttgart, Santiago de Chile, Berlin, Wien und Zürich, ihrem jetzigen Wohnort. Seit fast drei Jahren arbeitet sie in Vaduz am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein.

Ihr bewegtes Leben hat das Architekturverständnis von Vera Kaps nicht unberührt gelassen: "Mich interessiert vor allem das Verhältnis zwischen Architektur und Mensch, weil alle Räume, die wir entwickeln, letztlich Lebensräume für Menschen sind." Deshalb sollten Architekten mit der Gesellschaft auch einen Dialog über die gebaute Umwelt pflegen.

In ihrer Doktorarbeit setzt sich Kaps mit einem speziellen Aspekt dieses Dialogs auseinander: "Ich will herausfinden, wie Identitäten durch Architektur und das Architekturschaffen konstruiert werden." Konkret untersucht sie das am Beispiel der Schweizer Landesausstellung, die ungefähr alle 25 Jahre in der Schweiz stattfindet. Die nächste soll 2027 über die Bühne gehen, beschäftigt aber bereits jetzt zahlreiche Architekten, Landschaftsplaner und Kulturschaffende. Kaps nimmt deren Arbeit zum Anlass, um exemplarisch den Prozess der Konzeptfindung für diese Ausstellung zu analysieren.

"Bei der Konstruktion von Identität durch Architektur und Raumentwicklung können auch regionale Traditionen zum Tragen kommen", schildert Kaps. "Etwa indem man gewisse Landschaftselemente in das Ausstellungskonzept miteinbezieht." Solche Landschafträume spielen eine wichtige Rolle in der Identitätsbildung der dortigen Bevölkerung. "Meine Untersuchungen können deshalb für den weiteren Entwicklungsprozess der Ausstellung genutzt werden – immerhin hat man bis dahin noch elf Jahre Zeit."

Ob Vera Kaps dann noch in dieser Weltgegend sein wird, steht in den Sternen. Am Institut für Architektur und Raumentwicklung in Liechtenstein fühlt sie sich jedenfalls wohl, zudem sind die nächsten drei Jahre ohnehin der Fertigstellung ihrer Dissertation gewidmet.

Und Bewegung gibt es in ihrem jetzigen Leben auch ohne große Aufbrüche nicht zu wenig: Neben ihrer Dissertation leitet sie ein Forschungsprojekt über neue Denkschulen in der Architekturausbildung, konzipiert eine Vorlesungsreihe über kulturelle Identitäten und schreibt für diverse Architekturmagazine. Außerdem hat die leidenschaftliche Seglerin den Zürichsee praktisch vor der Haustür. Zwar ist das Segeln dort nicht ganz so abenteuerlich wie auf der Ostsee, an der sie lange gelebt hat. Aber der Charme der Schweizer (Berge) kann vielleicht selbst ein wanderndes Nordlicht bezaubern und etwas länger als ein Weilchen festhalten. (Doris Griesser, 1.5.2016)

Der Artikel erschien am 01. Mai 2016 im derstandard.at