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Energieeffizienz soll CO2-arme Wirtschaft finanzieren

Energieeffizienz ist gut für die Politik, aber sie hat bei der Verringerung des CO2-Ausstosses völlig versagt, sagt Horace Herring. Die finanziellen Einsparungen, die mit der Energieeffizienz erzielt werden, sollten für die Entwicklung CO2-armer Energiequellen genutzt werden, sagt der britische Akademiker.

Energieeffizienz ist gut für die Politik, aber sie hat bei der Verringerung des CO2-Ausstosses völlig versagt, sagt Horace Herring. Die finanziellen Einsparungen, die mit der Energieeffizienz erzielt werden, sollten für die Entwicklung CO2-armer Energiequellen genutzt werden, sagt der britische Akademiker.

Interview: Elana Caro, Zürich


Sie haben am Liechtenstein Kongress über den „rebound effect“, also den „Abpralleffekt“ gesprochen. Was meinen Sie damit?
Horace Herring: Wenn der Preis eines Gutes oder einer Dienstleistung wegen der technologischen Innovation sinkt, dann steigt die Nachfrage dafür und der Konsument verbraucht tendenziell mehr. Wenn Sie zum Beispiel zu Hause ein effizienteres Heizsystem einführen, sinken Ihre Heizkosten und Sie haben mehr Geld in der Tasche. Sie können jetzt entweder mehr heizen – das wäre der direkte Abpralleffekt. Oder sie können stattdessen andere Güter und Dienstleistungen kaufen. Das wäre der indirekte Abpralleffekt. Damit wird die Wirtschaft stimuliert.
Dieses Phänomen ist bekannt, wir sehen es bei allen Innovationen: Wenn die Autos weniger Benzin brauchen, dann sinken die Kosten pro gefahrenem Kilometer. Die Menschen können daher weiter oder öfter fahren. Gleichzeitig sinken die Kosten des Besitzes eines Autos; mehr Menschen werden ein Auto kaufen. Wenn die Effizienz von Fluggesellschaften steigt, sinken die Preise, und die Menschen fliegen mit Billiggesellschaften. Bei der Energie wird dieses Phänomen bisher kaum untersucht. Das finde ich merkwürdig.

Gilt es denn nicht für Energie?
Doch, es gilt auch für die Energie. Aber die Leute, die sich für Energieeffizienz einsetzen, etwa Ingenieure und Wissenschaftler, sind sich vielleicht der Wirkung des Abpralleffekts nicht bewusst. Dabei ist es ein völlig anerkanntes ökonomisches Prinzip. Wir müssen darauf aufmerksam machen, dass die Förderung der Energieeffizienz nicht automatisch den Energieverbrauch einer Volkswirtschaft senkt.

Energieeffizienz wird nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von der Industrie und der Regierungen gefördert…
Das stimmt. Obwohl Energieeffizienz völlig ineffizient ist, wenn es um die Verringerung des Energieverbrauchs geht, ist es ein bequemes Instrument der Politik, weil sie von jedermann akzeptiert wird. Es stellt die Umweltschützer zufrieden, aber auch die Industrie. Denn die Industrie weiss, dass auf lange Sicht die erhöhte Energieeffizienz ein gutes Geschäft für sie sein wird. Regierungen wiederum können so die Wirtschaft fördern und wiedergewählt werden.

Wie kann die Energieeffizienz erhöht werden, ohne den Verbrauch weiter anzukurbeln?
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Beide haben damit zu tun, was mit den finanziellen Einsparungen gemacht wird. Entweder werden die Energiepreise erhöht, so dass der Preis der Energiedienstleistungen gleich bleibt. Wenn etwa eine Verbesserung der Energieeffizienz von 10 Prozent erreicht wird, sollte der Preis der Energiedienstleistungen um 10 Prozent steigen. Das gleiche kann durch eine CO2-Steuer erreicht werden. Derzeit hält die Politik die Energiepreise niedrig. Das erhöht den Verbrauch und damit das Wirtschaftswachstum, und dieses erhöht wiederum den Energieverbrauch. Wenn es darum geht, den CO2-Ausstoss zu senken, dann sollten die Einsparungen aus der Energieeffizienz dazu genutzt werden, in CO2-freie Energiequellen zu investieren wie etwa Photovoltaikanlagen, Windenergie und so weiter. Energieeffizienz kann so zu einem Mittel werden, die CO2-arme Wirtschaft zu finanzieren.

Steuern sind unbeliebt…
Sehr, und die energieintensiven Industrien werden dagegen ankämpfen. Deshalb werden Energiesteuern von den Politikern für gewöhnlich gemieden. Aber unser wichtigstes Ziel muss die Verringerung des CO2-Ausstosses sein, nicht des Energieverbrauchs. Das bedeutet, dass die CO2-freien Energiequellen durch Energiesteuern und die Energieeffizienz gefördert werden müssen. Das ist eine einnahmeneutrale Massnahme.

Wer sollte dabei die Führung übernehmen, Regierungen oder Unternehmen, die davon profitieren wollen?
Regierungen müssen die langfristigen Ziele setzen und die Strategie, die durch die Gesetzgebung unterfüttert wird. Nur dann werden innovative Unternehmen mit Lösungen kommen. Man kann nicht von Unternehmen erwarten, dass sie mit der Arbeit beginnen, wenn es keine klaren Anreize dafür gibt.

Nehmen die Regierungen ihre Aufgabe wahr?
Die Regierungen nehmen zunehmend wahr, dass es diesen Abpralleffekt gibt. In England werden erneuerbare Energien durch die Einsparungen subventioniert, die durch die Gebäudeisolation erzielt werden. Die EU-Kommission hat zu diesen Folgen der Energieeffizienz im vergangenen Jahr einen Bericht veröffentlicht, die amerikanische Regierung ebenfalls. Aber vielleicht sind die Grünen das grösste Problem. Für sie ist Energieeffizienz so etwas wie ein Glaubensartikel. Wenn sie ihre Haltung nicht ändern, könnten die Regierungen, welche die Energieeffizienz in Frage stellen, die Unterstützung der Grünen verlieren.

Ausser wenn man sagt, das Problem liege nicht in der Energieeffizienz selbst, sondern in der Verwendung der Effizienzgewinne…
Genau. Energieeffizienz selbst ist wertvoll. Sie ist ein wichtiger Teil des modernen Lebens, der Innovation und der Kreativität. Aber der grösste Teil der grünen Energiepolitik wurde von Physikern und Ingenieuren entwickelt, nicht von Ökonomen. Wir werden keinen Wandel sehen, solange kein umfassenderer Ansatz entwickelt wird, der auch die wirtschaftlichen Prinzipien umfasst.

Werden nicht alle Effizienzgewinne, die wir machen, nicht ohnehin durch die rasch wachsenden Schwellenländer aufgebraucht?
Ja, und sie werden die grössten CO2-Emittenten sein. Energieeffizienz spielt eine Rolle. Aber wir müssen aufhören, uns auf die Energie zu konzentrieren, und stattdessen auf den CO2-Ausstoss schauen. Ich glaube nicht, dass wir etwas gegen den wachsenden Energieverbrauch in den Schwellenländern tun können oder tun sollen. Aber wir können vielleicht das CO2-Problem lösen, wenn es dort mehr CO2-freie Energiequellen gibt.

Was kann Rio+20 erreichen, der kommende UN-Gipfel zur Nachhaltigkeit?
Das CO2-Problem ist nur sehr schwierig auf internationaler Ebene zu lösen. Wir können nur die CO2-freie Energie in unseren eigenen Ländern fördern und hoffen, dass andere folgen. Es ist natürlich besser, wenn wir miteinander reden. Aber wenn es keinen dramatischen Wandel gibt – oder ein dramatischer Wandel droht -, dann wird nicht viel geschehen.

Was könnte ein solch dramatischer Wandel sein?
Das könnte etwa ein dramatischer Anstieg der Energiepreise sein, wenn der Ölpreis auf über 200 Dollar pro Fass stiege oder wenn es ein Ölembargo gäbe. Das letzte dramatische Ereignis war das Erdbeben in Japan, und das schaltete die Nuklearindustrie ab. Aber solange wir keine dramatischen Ereignisse wie in den 70er Jahren haben (arabische Ölembargos gegen die westliche Welt, hoher Anstieg der Ölpreise, ec), wird es wohl keine Änderung der Politik geben.

Sind Sie optimistisch, dass langfristig ein Wandel eintreten wird?
Ich bin auf eine sehr pessimistische Weise optimistisch. Es ist besser, etwas zu tun als gar nichts. Aber ich sehe keinen dramatischen Umbau im nächsten Jahrzehnt, und dann mag es zu spät sein.

Zur Person:
Horrace Herring ist Forscher der Energie- und Umweltforschungsabteilung der Open University in Grossbritannien. Nach einem Abschluss in Ingenieur- und Sozialwissenschaften an der Universität Sussex hat er sich während 30 Jahren mit Energieeffizienz beschäftigt. Dabei hat er in Grossbritannien, den USA und Fidschi für Regierungen, Hochschulen, und Organisationen gearbeitet. Derzeit beschäftigt er sich mit der Machbarkeit eines nachhaltigen Konsums. Sein jüngstes Buch trägt den Titel „Leben in einer CO2-armen Gesellschaft“.