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Digitalisierung führt auf den Wachstumspfad

Wollen Unternehmen wachsen, ist Digitalisierung ein unentbehrlicher Helfer. Doch wann und wie sind Investitionen sinnvoll? Forscher raten zu klaren Zielen und einem digitalen Schritt nach dem anderen. Regionale Beispiele zeigen: Diese Strategie verspricht Erfolg.

von Yvonne von Hunnius

Am Anfang steht die Excel-Tabelle. «Je mehr Kunden und Mitarbeiter wir hatten, desto schwieriger wurde diese Lösung und wir haben ein professionelles System gesucht», sagt Oliver Stahl. Der Liechtensteiner ist Mitgründer und Geschäftsführer der 2009 gegründeten Früchtebox Express AG, die Unternehmen mit Snacks und Früchten in Liechtenstein und der ganzen Schweiz beliefert. Eine Proffix-Software für Aboverwaltung, Logistik und Finanzwesen legte dann den Grundstein für weiteres Wachstum. Inzwischen setzt die Digitalisierung auch an der anderen Seite der Wertschöpfungskette an: Snacks und Früchte bei Kunden wie SIX und UBS sind digital über die Bezahl-App Paymit / Twint bezahlbar.

Digitale Fassade im Übergang zum Wachstum
Es geht um eine schrittweise Digitalisierungsstrategie, so halten sich Unternehmen flexibel, um auf Anforderungen der Kunden und Zulieferer zu reagieren.

Diese Entwicklung ist typisch für Unternehmen wie die Früchtebox AG, deren Geschäftsmodell nicht direkt auf digitalen Lösungen fusst. Denn in der Wachstumsphase müssen Unternemen viele Bälle gleichzeitig jonglieren. Das sagt die Doktorandin Sanja Tumbas vom Hilti Lehrstuhl für Business Process Management. Gemeinsam mit Stefan Seidel und Jan vom Brocke von der Universität Liechtenstein und Nicholas Berente von der University of Georgia (USA) hat sie Digitalisierungsprozesse in wachsenden Unternehmen untersucht. Eine der Erkenntnisse: Um Wachstumsphasen zu überstehen, setzen Firmen häufig auf die Vorteile einer sogenannten digitalen Fassade. Und das ist keineswegs negativ gemeint. «Zunächst wird in ein System investiert, das zur digitalen Fassade beiträgt. So können Unternehmen bereits früh einen professionellen Eindruck auf Kunden, Zulieferer und Investoren machen», sagt sie.

Das Forscherteam hatte für die Studie Interviews mit über 40 Führungspersonen aus unterschiedlichen Industriesektoren geführt. Ein Artikel über die Studie wurde im Dezember 2015 mit dem Best Paper Award an der International Conference on Information Systems (ICIS) in Texas, USA, ausgezeichnet.

Digitale Fähigkeiten Schritt für Schritt

Jungunternehmen tun gut daran, ihre Infrastruktur mit Bedacht aufzubauen und vorsichtig mit ihren Ressourcen umzugehen. So liegt beim Jungunternehmen Frooggies aus Vaduz der Fokus auf einem einwandfrei funktionierenden Internet-Shop und Internet-basierten Kunden-Support. Seit der Gründung 2015 bis vor kurzem wurden jedoch die Tüten mit Fruchtpulver von den Gründern grossteils immer noch händisch befüllt. Wegen der Mengen hat man es nun ausgelagert. Mitgründer Philippe Nissl sagt: «Toll wäre eine komplette IT-Infrastruktur, in der alle Abläufe, Lagerbestände, Einkauf, Kundenservice miteinander verknüpft sind. Doch wann das bei uns so weit ist, ist noch offen.» Die Forscher haben herausgefunden, dass Digitalisierung bei manchen Unternehmen erst ins Spiel kommt, wenn Wachstum beginnt. Gesucht wird dann nach Strategien als Reaktion auf neue Märkte oder Distributionskanäle. Wann es sich lohnt, in teurere Systeme zu investieren, muss jedoch jedes Unternehmen für sich definieren. Für Sanja Tumbas ist klar: «Es geht um eine Schritt-für-Schritt-Strategie. So hält sich das Unternehmen flexibel, um auf Anforderungen der Kunden und Zulieferer zu reagieren.» Letztlich könnten digitale Technologien einem Unternehmen gleichzeitig Flexibilität wie Struktur bieten und als Innovationsmotoren auch zu neuen Produkten oder Dienstleistungen verhelfen.

Strukturen im Wandel

In grösseren, etablierten Organisationen wird Digitalisierung oft als Mittel dafür gesehen, Innovationszyklen zu beschleunigen – ein Aspekt, der gerade für die Region und die Arbeit des Instituts für Wirtschaftsinformatik immer wichtiger wird. In diesen Prozessen gewinnt auf der Leitungsebene von Unternehmen die Rolle eines Chief Digital Officers (CDO) an Bedeutung. Der CDO überwacht Digitalstrategie und Kundenfokus.

Laut Sanja Tumbas steht dabei stets ein Faktor im Zentrum der Digitalisierungs- und Wachstumsprozesse: Das Wesen der Arbeit ändert sich. Die Forscher beobachten in jungen und auch etablierten Unternehmen Organisationsprozesse, die untrennbar mit digitalen Technologien verbunden sind. «Arbeit an sich wird digital und braucht neue Denkmuster», sagt Tumbas.

Born-Digitals funktionieren anders

Manche Unternehmen haben Digitalisierung bereits im Blut. Ihre Gründer sind oft Vertreter der Generation Y – also diejenigen, die nach dem Jahr 1980 geboren wurden. Solche Unternehmen funktionieren anders als jene, die sich wie die Früchtebox Express AG erst in ihrer Wachstumsphase intensiver mit Digitalisierung beschäftigen. Diese bezeichnen die Forscher als Grown-Digitals. Häufig basiert die Geschäftsidee der sogenannten Born-Digitals auf digitalen Lösungen.

Genau so ist es beim Start-up investory.io. Die Plattform übernimmt die Investorenkommunikation für Unternehmen und versendet regelmässig Berichte mit standardisierten Kennzahlen. Digitalisierung ist integraler Bestandteil des Modells. Geschäftsführer und Mitgründer ist Florian Tausend, ein Absolvent des Masterstudiengangs Entrepreneurship. Er sieht die Chancen klar vor sich: «Dank der Digitalisierung war es nie einfacher und günstiger, Know-how oder auch Serverkapazitäten zu beschaffen, um ein Unternehmen aufzuziehen.» Aber auch hier zählt die Schritt-für-Schritt-Strategie in Bezug auf das digitale Modell. Seiner Erfahrung nach ist Flexibilität bei der Entwicklung der Start-up-Idee wie bei der weiteren Produktentwicklung wichtig. Start-ups, die zu früh alles auf ein System setzen, verspielen sich diese Flexibilität.

Wachstum braucht Wissen

Aber ist es für Born-Digitals durch ihre Digitalkompetenzen nun einfacher zu wachsen? Sanja Tumbas sagt: «Diese Unternehmen können mithilfe der Technologien leichter experimentieren. Doch digital voll ausgerüstet zu sein, ist kein Vorteil per se. Ob es sich um Finanzierung, Logistik oder Kommunikation handelt – erst wer sein Geschäft überzeugend beherrscht, ist bereit für Wachstum und kann dann auch am geschicktesten die Vorteile der Digitalisierung nutzen.»

 

* Dieser Artikel erschien ursprünglich in der November 2016 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.