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Ohne Informatik keine Innovation

Viele Unternehmensprozesse werden heute durch die Informatik gesteuert. Doch bevor ein Unternehmen eine IT-Lösung kauft, sollte es sich klar sein, wie damit mehr Wert geschaffen werden kann, sagt der Wirtschaftsinformatiker Jan vom Brocke. Die Informatik ist ein Werkzeug zur Innovation.

Viele Unternehmensprozesse werden heute durch die Informatik gesteuert. Doch bevor ein Unternehmen eine IT-Lösung kauft, sollte es sich klar sein, wie damit mehr Wert geschaffen werden kann, sagt der Wirtschaftsinformatiker Jan vom Brocke. Die Informatik ist ein Werkzeug zur Innovation.

Interview: Steffen Klatt

Welche Fragen muss sich ein Unternehmen stellen, wenn es eine neue Informatiklösung braucht?

Jan vom Brocke: Das Unternehmen sollte berücksichtigen, dass es sich nicht nur um eine Informatiklösung handelt. Es geht dabei um Unternehmensprozesse. Viele Unternehmen machen den Fehler, IT-Lösungen nur unter technischen Gesichtspunkten anzuschauen. Der Nutzen jeder IT-Lösung entscheidet sich aber erst über deren Wirkung in den Prozessen, wenn diese schneller, besser oder kundenfreundlicher werden. Erst dadurch wird ökonomischer Wert geschaffen.

Muss die Informatiklösung nicht einfach die Prozesse im Unternehmen so abbilden, dass das Management diese Prozesse besser im Blick hat?

Das kommt darauf an, um welche Prozesse und um welche Lösungen es geht. Bei der Bewirtschaftung der Ressourcen eines Unternehmens ist es in etwa so. Das hat IT in den letzten 20 bis 30 Jahren auch gemacht. Heute ermöglicht IT auch ganz neue Prozesse.

Welche?

Etwa im Umgang mit den Kunden: Wenn mein Kunde anruft, dann können neue IT-Lösungen mir alle Informationen über ihn zur Verfügung stellen. Ich bin damit sofort im Bild und kann den Kunden ganz anders betreuen. Anderes Beispiel: Wenn ich an einem Geschäft vorbeigehe, kann ich eine Textnachricht bekommen, in der mir ein Kaffee offeriert wird. Ein drittes Beispiel sind die sozialen Netzwerke, die das Marketing schon heute dramatisch verändern.

Von wem sollten im Unternehmen die Definition der Informatiklösungen ausgehen?

Die Informatiklösungen sollten vom jeweiligen Geschäftsmodell ausgehen. Alle erfolgreichen Unternehmen benutzen Informatiklösungen als Möglichkeit, die Geschäftstätigkeit zu unterstützen und Geschäftsinnovationen einzubringen. Die Wirtschaftsinformatik soll gerade in Abgrenzung von der Informatik eine Brücke schlagen zwischen Betriebswirtschaft und den neuesten Technologien in der Informatik.

Eigentlich brauchte ein Unternehmen massgeschneiderte Lösungen. Aber welches Unternehmen kann sich solche Lösungen denn leisten?

Die Wechselwirkung zwischen der Standardisierung und der Individualisierung ist schon immer eine der wesentlichen Diskussionspunkte gewesen. Vor drei Jahrzehnten haben Unternehmen auch mit individualisierten Lösungen begonnen, weil sie ihre Prozesse für einzigartig hielten. Das ist aufwendig. Obendrein sind die scheinbar einzigartigen Prozesse auch nicht unbedingt die besten. Daher sind Anbieter wie SAP, Oracle, Microsoft oder Avaloq zu individualisierbaren Standardlösungen übergegangen. Diese Lösungen profitieren von der starken Forschung an Universitäten und mit grossen Unternehmen. Heute gibt es immer mehr modulare Lösungen. Man kann einzelne Module einkaufen, ohne gleich das ganze System zu übernehmen. Man ist gut beraten zu schauen, welche standardisierten Module sinnvoll sind und wo man individualisierte Lösungen vorzieht. Um einen standardisierten Kern sind dann individuelle Lösungen gebaut, mit denen sich das Unternehmen von anderen abhebt.

Muss ein Unternehmen sich an die Informatiklösungen anpassen oder umgekehrt?

Das kommt darauf an, wie sehr ein Unternehmen seine eigenen Abläufe für wichtig hält und beherrscht. Grundsätzlich würde ich davon abraten, eine IT-Lösung zu kaufen, bevor nicht klar ist, welchem Zweck sie konkret im Unternehmen dienen soll und wie sie in die eigenen Abläufe passt. Umgekehrt erlebe ich in unserer Beratungstätigkeit immer wieder, dass sich gerade kleine Unternehmen mit einer IT-Lösung auch bessere Prozesse einkaufen wollen und dies auch können.

Brauchen diese Unternehmen also in erster Linie Beratung, erst in zweiter Linie Technik?

Das ist sehr richtig. Dabei können Universitäten eine Rolle spielen. Wir haben eine unabhängige Sichtweise und einen breiten Erfahrungshintergrund. Wir wollen weder Tagessätze noch Technik verkaufen und können daher gut bei Anschaffungen unterstützen. Unternehmen sollten Technik erst kaufen, wenn sie genau wissen, was sie brauchen.

Zum Kapital eines Unternehmens gehört das Wissen der Mitarbeiter. Wie kann es verwaltet werden?

Das ist so. Ein Unternehmen braucht die Fähigkeit, immer neue Produkte und Lösungen zu erfinden. Die Studenten, die wir heute ausbilden, müssen später Probleme lösen, die es heute noch gar nicht gibt. Unternehmen brauchen deshalb Persönlichkeiten, die diese Dynamik und Veränderungsfähigkeit mitbringen. Die Halbwertzeit des Wissens wird immer geringer. Eine Informatiklösung muss am Ende des Tages das Geschäft unterstützen. Das Geschäft selbst wird aber nicht durch die Technik abgewickelt, sondern durch die Menschen, die diese Technik nutzen. Manchmal kann die Technik sogar schädlich sein, wenn sie nämlich zu starre Abläufe vorschreibt, die zur Erfüllung der Aufgabe nichts beitragen, aber die Kreativität einschränken. Aus der Forschung können wir heute genau sagen, wo welche Technik Sinn macht.

Ist ein Unternehmen durch eine Informatiklösung auf Jahre in seinen Prozessen festgelegt?

Die Entwicklung geht zunehmend dahin, dass es nicht eine einzige Lösung gibt, die während Jahren benutzt wird. Heute werden Systeme bevorzugt, die Applikationen von ganz verschiedenen Anbietern nach Bedarf integrieren und dynamisch nutzen. Es ist ein bisschen so wie Lego: die Steine sind gleich aber das Gebilde immer wieder ganz individuell.

Wie können Unternehmen verhindern, dass sie ihre Mitarbeiter mit den ständigen Änderungen verunsichern?

Das ist ein wichtiger Punkt. Unternehmen müssen beim IT-Management auch das Personal und die Kultur des Unternehmens berücksichtigen. IT ist nur Faktor unter mehreren – ein ganz wichtiger, aber eben auch nur einer. Vorher müssen vor allem die Prozesse bekannt sein. Das Unternehmen muss sicherstellen, dass eine Veränderung der Prozesse mehr Wert bringt. Dazu muss viel zusammenkommen: klare Zuständigkeiten, richtige Kompetenzen und Fähigkeiten, Motivation, Anreize, Vertrauen. Insgesamt haben die Werte der Organisation einen sehr grossen Stellenwert. Diejenigen Unternehmen sind erfolgreich, welche die Prozesse ganzheitlich anschauen und kontinuierlich verändern. Aus vielen Projekten wissen wir heute, woran zu denken und wie die vielen Punkte miteinander zu verbinden sind.

Geht es also bei Informatiklösungen um Unternehmensführung insgesamt?

Es geht bei IT um die Organisation. Heute kann man sich kein Unternehmen mehr ohne IT vorstellen, und auch die Innovation ist heute zu über 50 Prozent IT-gestützt. IT ist die zentrale Technologie unserer Zeit. Aber sie muss auch richtig genutzt werden. Es reicht nicht, sie zu kaufen.




Zur Person:
Jan vom Brocke ist Inhaber des Hilti Lehrstuhls für Business Process Management und Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität Liechtenstein. Er verfügt über mehr als 10 Jahre Erfahrungen in praktischen IT Projekten und hat seine Forschung in 16 Büchern und über 170 wissenschaftlichen Aufsätzen publiziert. Jan vom Brocke hat Wirtschaftsinformatik an der Universität Münster studiert und dort auch doktoriert und habilitiert. Er lehrt u. a. auch an der Universität St. Gallen und ist Berater zahlreicher Institutionen.