uni.liUniversitätMedienportalMedienmitteilungen#1 Drei Fragen an … Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier

#1 Drei Fragen an … Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier

Nach dem erfolgreichen Auftakt der neuen Bildungsserie «Campus Gespräche» im September mit über 600 Besuchern ist am Mittwoch, den 19. November 2014, der Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier zu Gast im Spoerry Areal. Vorab gibt er im Kurzinterview Einblicke in sein Thema «Lernlust statt Lernfrust».

Kurzinterview mit Gästen der Universität Liechtenstein

Drei Fragen an … 

Mag. Berhard Heinzlmaier






Herr Heinzlmaier, trotz steigender Hochschulquote sagen Sie, dass die Jugend weniger gebildet ist als früher. Wie erklären Sie dies?

Ganz einfach, weil an vielen Schulen und Hochschulen nicht mehr «gebildet», sondern «ausgebildet» wird. Ausbildung heisst, dass nur mehr das vermittelt wird, was in irgend einem Kontext nützlich ist – für den Einzelnen, die Gesellschaft, die Wirtschaft. Das Problem besteht nicht darin, dass man an den Schulen und Hochschulen nützliches Wissen vermittelt, es besteht darin, dass man nunmehr ausschliesslich nützliches Wissen lehrt. Bildung wird auf das Nützliche reduziert, es kommt zur Ausprägung der so genannten «halbierten Vernunft», einer Vernunft, die nur mehr auf technische und prozessorientierte Kompetenzen gerichtet ist. 

In unserer Gesellschaft sind Geld und Ansehen die wichtigsten äusseren Güter. Um ihretwillen sind die Menschen tätig, nicht wegen der Sache selbst. Wie Konrad Paul Liessmann in seinem neuen Buch feststellt, wird durch dieses oben beschriebene System der Unbildung, den jungen Menschen ein «Sein-für-Anderes» antrainiert und ihnen das «Für-sich-sein» verwehrt. Und weiter: «Damit nimmt man jungen Menschen nicht nur die Chance, sich der Erfahrung des Schönen hinzugeben, sondern auch die Möglichkeit, sich und andere in ihrem Eigenwert wahrnehmen zu können.»


Als Ursache nennen Sie ein Bildungssystem, in dem nur nach ökonomischen Aspekten unterrichtet werde. Was führt Sie zu dieser Annahme?

Die Bildungssysteme Europas werden von der OECD dirigiert. Mit ihren Rankings und dem Pisatest hat uns die OECD längst unsere bildungspolitische Selbstbestimmung und zudem auch unsere eigenständige Denkfähigkeit geraubt. Die OECD ist eine Wirtschaftsorganisation. Die Bildungspolitik in ihre Hände zu legen bedeutet, die oben angesprochene Halbierung der Vernunft zu institutionalisieren. Die OECD ist die europäische Sachwalterschaft des Bildungsreduktionismus. Der PISA-Test ist das Symbol dafür, wohin man mit zur Ausbildung herabkastrierten Bildung will. Die Menschen sollen Gebrauchstexte verstehen, Rechenaufgaben lösen und über die modernen Naturwissenschaften Bescheid wissen. 

Philosophisches, kulturelles, literarisches Wissen und musikalische Kompetenzen haben keine Bedeutung mehr für die Beurteilung der Qualifikationen der jungen Europäer. Aber genau das sind die Wissensgebiete, die das Schiller‘sche Reich der Freiheit betreffen, in dem sich der Mensch abseits von praktischen Zwängen zu seiner Erbauung bewegen kann. Dieses Reich der Freiheit ist es, das zu einem Leben in Freiheit qualifiziert, es lehrt die Jugend, sich als eigenständige, unabhängige Menschen zu begreifen, die autonome Entscheidungen treffen dürfen und müssen. Aber das ist heute offenbar nicht mehr gewünscht. Vielmehr geht es um die Produktion von verwertbaren Arbeitskräften, nicht von freien Individuen.


Sie kritisieren die Orientierung der Jugend auf materielle Werte. Leben die älteren Generationen ihnen nicht genau das vor?

Natürlich. Wir leben in einer materialistischen Welt, in der es nur mehr um Produktion und Konsum geht und das vielfach ohne Sinn und Verstand. Nichts setzt der Wirtschaft und ihren materialistischen Zielen mehr Grenzen. Was machbar ist, wird gemacht, egal ob es in einem humanitären Sinn vernünftig ist. Monsanto darf alles, darf die Landwirtschaft mit Gen-Samen und Pestiziden überschwemmen. Wir haben nichts mehr dazu zu sagen, weil in den freien Markt keiner eingreifen darf. Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen der materialistische Geist geformt, ja radikalisiert wird. 

Die jungen Menschen werden dazu erzogen, das ganze Leben als betriebswirtschaftliches Spiel ohne Grenzen zu begreifen. Nur mehr der Profit zählt, egal mit welchen Methoden man ihn erreicht. Am Ende ist der Markt unser neuer Gott, der materialistische Gott und der Konsum ist unser täglicher Ritus der Anbetung. Die Adorierung des Marktes als absolute Autorität ist der Hypermaterialismus, von dem die Jugend geprägt ist. Der Materialismus ihrer Eltern war weniger total und absolut.

Moderatorin Claudia Schanza nimmt auch Fragen aus dem Publikum auf, die bereits bei der Anmeldung eingereicht werden können.

 

Campus Gespräch mit Mag. Bernhard Heinzlmaier

Am Mittwoch, den 19. November 2014 spricht Mag. Bernhard Heinzlmaier ab 17 Uhr im Rahmen der Campus Gespräche der Universität Liechtenstein zum Thema «Lernlust statt Lernfrust: Welche Lernkultur brauchen wir?» im Spoerry Areal in Vaduz.
Anmeldung und Informationen unter www.uni.li/campusgespraeche


Bernhard Heinzlmaier


ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien, das auf praxisorientierte nicht-kommerzielle Jugendforschung spezialisiert ist. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.

Zu seinen Arbeitschwerpunkten zählen Jugendpolitik, Freizeitforschung, jugendkulturelle Trends, Zielgruppenkommunikation und Lifestyleforschung. Er hat Lehraufträge an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Studiengang Soziale Arbeit der FH Joanneum in Graz, am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Innsbruck und an der Popakademie in Mannheim u.a.

Mit Publikationen wie «Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben» oder «Generation Ego. Die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert» hat er sich auch populärwissenschaftlich einen Namen gemacht.